VORTRAG: Potenziale der Kunsttherapie für Kinder mit selektivem Mutismus – am Beispiel einer Einzelfallstudie
Anne Regier
Kinder mit zurückhaltendem Verhalten erhalten häufig weniger Aufmerksamkeit als Kinder mit auffällig lautem Verhalten. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse leise agierender Kinder übersehen oder unzureichend berücksichtigt werden, so auch bei Kindern mit selektiven Mutismus. Vor diesem Hintergrund gewinnt die folgende Forschungsfrage an Bedeutung: Welche Potenziale bietet das kunsttherapeutische Arbeiten für Kinder mit selektivem Mutismus? Die Studie beleuchtet die Besonderheiten, Möglichkeiten und Vorteile, welche Kunsttherapie für selektiv mutistische Kinder bieten kann.
Die Datenbasis entstand im Rahmen einer Gruppenkunsttherapie innerhalb eines Forschungsprojekts des Institute for Research in Arts Therapies (IRAT). Es wurde eine Einzelfalluntersuchung eines achtjährigen Mädchens mit selektivem Mutismus durchgeführt. Diese umfasst 19 Kunsttherapieeinheiten, welche innerhalb von sieben Monaten durchgeführt wurden. Die Grundlage der Analyse bilden Protokolle der Gruppenkunsttherapie. Die Datenauswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse, welche durch quantitative Ergebnisse aus dem Beck Youth Inventories-Second Edition (BYI-2) und einem Anamnese-Fragebogen ergänzt wird.
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen anhand von fünf Hauptkategorien, sowie weiteren Unterkategorien, Potenziale der Kunsttherapie für Kinder mit selektivem Mutismus. Im Mittelpunkt stehen dabei nonverbale Prozesse, die durch die kunsttherapeutische Arbeit einen Raum für Selbstausdruck, nonverbale Kommunikation und Beziehungsaufbau über das künstlerische Medium eröffnen.
Die Analyse weist darauf hin, dass kunsttherapeutische Interventionen insbesondere im Bereich nonverbaler Kommunikation, Selbstausdruck und Ressourcenstärkung einen förderlichen Entwicklungsraum bieten können. Künstlerische Prozesse können demnach emotionale Öffnung, Selbstwirksamkeit und die Entwicklung vertrauensvoller Beziehungen unterstützen. Da es sich um eine Einzelfalluntersuchung mit Begrenzungen in ihrer Generalisierbarkeit handelt, erfordern die Ergebnisse eine vertiefte Untersuchung. Weitere Forschungen sollten insbesondere die Wirkung unterschiedlicher kunsttherapeutischer Settings – Gruppen- und Einzeltherapie – im Kontext des selektiven Mutismus vergleichen, um mögliche Unterschiede in therapeutischen Prozessen und Beziehungsgestaltung aufzuzeigen. Zudem wäre es von Interesse, umfangreicher zu untersuchen, wie Selbststärkung durch kunsttherapeutisches Arbeiten die Entwicklung sprachlicher Kommunikation bei selektiv mutistischen Kindern fördern kann.
Anne Regier